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Mittwoch, 27. Februar 2019


Glückliche und wehmütige Tage

in Sondershausen von einst



Erinnerungen an Kindheit, ehemalige Schulkameraden und an die alte Burgstraße


VON HUBERT APPENRODT

Zu sehen ist die alte ehrwürdige Burgstraße in unserer kleinen beschaulichen Stadt, die, von der Hauptstraße abzweigend, zum lichthellen Markt hinaufführt, jedoch wegen der großen Häuserschatten immer ein wenig düster wirkt. Den Häusern auf beiden Seiten ist durch ihre Lage tagsüber nach wie vor wenig Sonnenlicht gegönnt.

In der Burgstraße wohnte einst auf der linken Straßenseite hochoben in einem betagten grauen Haus mit seiner Mutter unser Schulkamerad Bernd. Die Haustür knarrte stets beim Öffnen, das uralte Holz der Treppenstufen ebenso. Die kleine Mansardenwohnung mit Wohn- und Schlafstube war dann über einen uralten steilen Treppenaufgang erreichbar und erinnerte beim Heraufgehen wegen seiner wendelgangähnlichen Windungen eher an einen geheimnisvollen Turmaufstieg. Wir versuchten immer leise und unauffällig nach oben zu gelangen. Wir wollten nicht, daß sich die Türen öffneten und hellhörige Hausbewohner, eine kleine Kinderschar ist im Haus, neugierig nach unserem Wohin und Wozu fragten.

Hin und wieder erledigten wir gemeinsam bei Bernd unsere Schulaufgaben, lästerten oft über die seltsame Welt der Erwachsenen, oder wir spielten leidenschaftlich Karten. Brachen wir am Nachmittag von hier aus mit zwei, drei anderen Mitschülern zu unseren kleinen Stadt-, Park- und Waldabenteuern auf, durchquerten wir oft den großen, verwinkelten Innenhof zwischen den Häuserzeilen der Burg- und denen der Hauptstraße mit vielen aneinandergereihten dunklen Holz- und Kohlenschuppen, mit einigen kleinen Kaninchenställen dazwischen. Der Durchgang zur Hauptstraße war auch im Sommer immer kühl, die Tür zur Straße groß und wuchtig und beeindruckte immer wieder durch ihre schwere vornehme Schönheit. Wir waren damals jung, wir fühlten uns frisch und frei, wir waren neugierig auf das Leben, wir waren unbekümmert und rauchten gemeinsam im Park unsere erste Zigarette – nichts und niemand konnte uns etwas anhaben.

Auf der rechten Seite zu Beginn der Burgstraße an ihrem unteren Ende standen einige kleinere Wohnhäuser, die nach ihrem Abriß auf dem Foto nicht mehr zu sehen sind. In einer der alten Behausungen wohnte ein anderer älterer Schulkamerad – Feodor. Seine Mutter schaute oft tagsüber lange Zeit aus dem Fenster heraus. Verzweiflung und Not hatten zu einem tragischen Geschehen in ihrem Leben geführt, zum traurigen Verlust ihrer Gehfähigkeit. Sie verließ deshalb fast nie ihre Wohnung. Feos Mutter war dennoch nicht verbittert. Immer sehr freundlich zu uns Kindern, hatte sie für jeden von uns stets, vor allem für ihren Straßennachbarn Bernd, ein nettes Wort.

Die Jahre der schönen Kindheit vergingen ebenso rasch wie das jugendliche Frühlingserwachen: wir erlernten verschiedene Berufe. In jedem Leben von uns gibt es auch zutiefst traurige Stunden. So an einem unglücklichen Tag, an dem unser Schulfreund Bernd nach einem schweren Motorradunfall sein junges hoffnungsvolles Leben verlor, mit nur siebenundzwanzig Jahren. Seine Mutter überwand nie den Verlust ihres einzigen Sohnes. Für sie war seither jeder neue Tag abermals ein trauriger Tag. Sie freute sich jedoch, wenn sie jemanden von uns aus dem kleinen einstmaligen Freundeskreis in der Stadt traf und mit ihm über jene vergangene unbeschwerte Zeit vor dem verhängnisvollen Schicksalstag sprechen konnte.

Die Burgstraße gibt es noch immer. Sie weiß viel von ihren alten und neuen Bewohnern zu erzählen, von ihren Glücks- und Schicksalstagen. Vielleicht träumt auch sie manchmal von alten Zeiten, als der Fürst mit der hochherrschaftlichen Kutsche durch seine fürstliche Residenzstadt fuhr, jedoch nie die Burgstraße hinauffuhr. Dann wacht sie auf, darüber ein wenig verärgert, freut sich jedoch recht bald wieder an ihrem frischen, neuen Dasein und verzeiht, wie auch wir verzeihen, den und unseren Schattenseiten des Lebens. Der Fürst dachte vermutlich nie anders.

Foto:

Die alte Sondershäuser Burgstraße im späten Nachmittagslicht / Foto: Hubert Appenrodt

(Foto, aufgenommen mit einer Praktica-Kleinbildkamera aus Dresden, Kleinbildfilm im eigenen kleinen Labor entwickelt, das Foto hernach auf Fotopapier gebracht, alles als Schüler in einigen Sommerferien als Helfer in verschiedenen Kreisstadtbetrieben erarbeitet)