DIE MÄRCHEN DER BRÜDER GRIMM IN UNSERER KINDHEIT
Eine Erinnerung an abendliche Märchenzeiten
MÄRCHENHAFTE LANDSCHAFT – WESTFÄLISCHE WASSERMÜHLE VON:
Andreas Achenbach (29. September 1815 in Kassel - 1. April 1910 in Düsseldorf)
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VON HUBERT APPENRODT
Als wir Kinder waren und noch nicht zur Schule gingen, las
uns unsere Mutter jeden Abend ein Märchen der Brüder Grimm vor, aus zwei dicken
Märchenbüchern mit Illustrationen von Lea Grundig. Die Märchen seien sehr
lehrreich. Jeden Abend, wir lagen bereits voll froher Erwartung in unseren
Betten, freuten wir uns vor dem Einschlafen auf das Gutenachtmärchen. Später
kam ein Buch mit wunderbaren Illustrationen von Ludwig Richter hinzu, in dem
wir an manch grauem Regentag im Herbst oder bei tief stehender Sonne am winterliche
Nachmittag oft blätterten oder später, als wir bereits zur Schule gingen,
selbst lasen.
Die feinsinnigen, stimmungsvollen Illustrationen trugen wesentlich zur Verzauberung
in uns bei. Wir waren jedesmal dann ganz in uns selbst versunken - in prachtvollen
Schlössern zu Hause, in prunkvollen Sälen und königlichen Gemächern, in
tiefschwarzen Wäldern, hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen. Wenn
wir vor unser Haus traten und zur Hainleite hinübersahen, jemand hatte uns
darauf aufmerksam gemacht, konnten wie sieben Berge abzählen. Dort also weilte
Schneewittchen, aß es unwissend den vergifteten Apfel, war es in einem
gläsernen Sarg aufgebahrt, bis zu seiner glücklichen Erlösung. Oder wir bewunderten
das tapfere Schneiderlein, wie es zwei Riesen hinters Licht führte und alle anderen
Tapferkeitsproben gleichfalls einfallsreich und listig bestand. Wir hofften,
nachdem wir das Märchen bereits kannten, mit dem Froschkönig und seinem
getreuen Diener Heinrich auf Erlösung oder freuten uns mit den Bremer
Stadtmusikanten, doch noch etwas besseres als den Tod gefunden zu haben, bevor
am Abend die Nacht hereinbrach. Wir ließen uns am Wunschabend immer wieder das
Märchen vom Schneewittchen vorlesen oder das von Dornröschen. Uns gefielen die
Märchen von Rapunzel und Rotkäppchen, Brüderchen und Schwesterchen oder
Allerleirauh, in der Weihnachtszeit besonders Hänsel und Gretel. Und bis heute
kann ich mir keine anderen Illustrationen denken als jene von Lea Grundig und
Ludwig Richter.
Später entdeckten wir, in welch schöner, wunderbarer, oft
auch humorvoller Sprache die Märchen von Jakob und Wilhelm Grimm abgefaßt
waren. Andererseits fiel uns erst viel später auf, welch Grausamkeit doch
manches Märchen enthielt - was uns als Kinder damals weiter nicht störte, weil
es immer Erlösung und ein gutes Ende gab, mit gerechter Strafe für das Böse und
für die anderen, denen aus großer Not geholfen worden war, das Versprechen, von
nun an ein langes, sorgenfreies Leben vor sich zu haben. Wie im richtigen
Leben, wenn man das eine oder andere großzügig übersieht und nicht weiter
beachtet – so daß auch wir nach einiger Zeit mit Jakob und Wilhelm Grimm sagen
können: „Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie (und wir) lebten in lauter
Freude zusammen.“
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DIE ERSTEN FÜNFZEHN MÄRCHEN DER BRÜDER GRIMM
In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat,
lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön, aber die jüngste war so
schön, daß die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte,
sooft sie ihr ins Gesicht schien. / Eine Katze hatte (indessen) Bekanntschaft
mit einer Maus gemacht und ihr soviel von der großen Liebe und Freundschaft
vorgesagt, die sie zu ihr trüge, daß die Maus endlich einwilligte, mit ihr
zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. /
Sie waren aber so arm, daß sie nicht mehr das tägliche Brot hatten und nicht
wußten, was sie (einander) sollten zu essen geben. / Bald danach kam der Küster
zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Not und erzählte, wie sein
jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wüßte nichts und
lernte nichts.
(Und) Es dauerte nicht lange, so klopfte jemand an die
Haustür und rief 'macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat
jedem von euch etwas mitgebracht.' / Da sah der getreue Johannes, daß es nicht
mehr zu ändern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem
großen Bund den Schlüssel heraus. / Da ward der Fleischer zornig, griff nach
einem Besenstiel und jagte ihn hinaus. / Da nahm er die Geige vom Rücken und
fiedelte eins, daß es durch die Bäume schallte. / Die Mutter aber saß nun den
ganzen Tag und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war, und
den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach ‚liebe Mutter, warum bist
du so traurig?’ / Da gingen sie zusammen fort auf den Berg, und weil es ein
heller Tag war, blieben sie bis zum Abend.
Es trug sich aber zu, daß der König des Landes eine große
Jagd in dem Wald hielt. / Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, daß er
still hielt und horchte. / Nun war der König in großer Freude, er hielt aber
die Königin in einer Kammer verborgen bis auf den Sonntag, wo das Kind getauft
werden sollte. / Da erschrak der Königssohn und sprach ‚so soll mir nun und
nimmermehr meine schöne Braut ein Spinnrad anrühren.’ / Da hatten alle Sorgen
ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.
Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich
Katze und Maus in Gesellschaft
Marienkind
Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
Der Wolf und die sieben jungen Geißlein
Der treue Johannes
Der gute Handel
Der wunderliche Spielmann
Die zwölf Brüder
Das Lumpengesindel
Brüderchen und Schwesterchen
Rapunzel
Die drei Männlein im Walde
Die drei Spinnerinnen
Hänsel und Gretel
MÄRCHENHAFTE LANDSCHAFT Gemälde von Andreas Achenbach (29.
September 1815 in
Kassel - 1. April 1910 in
Düsseldorf)
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