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Donnerstag, 10. März 2016





Erster  Schnee

Zum ersten Adventssonntag

Von HUBERT APPENRODT

Einmal gab es das alles wirklich, was als Erinnerung tief in unseren Herzen kindliche Aufbewahrung fand. Und wie in jedem Jahr, wiederholt sich auch in diesem, was wir immer empfinden, wenn die Zeit herangekommen ist. Eben war noch Herbst und letzte Gartenarbeit war zu verrichten, da kündet sich unversehens der letzte Monat im Jahr mit seinen stillen Tagen an, der Vorweihnachtszeit und dem schönsten Fest selbst. Gelegentlich auf besondere Weise, wenn es gerecht zugeht, mit dem ersten Schnee, den sich die Kinder in jedem Jahr so sehr wünschen. Vielleicht weiß jemand, ob damals in Sondershausen, als städtische Bekanntmachungen auf Straßen und Plätzen noch mit Handglocke und kräftiger Stimme ausgerufen wurden, es am Ende manchmal beiläufig hieß, noch heute am Abend wird es in diesem Jahr den ersten Schnee geben. Um an Pflichten zu erinnern, Gehwege und Straßen sorgsam zu räumen und Salz zu streuen.



Niemand mehr verkündet in Sondershausen den ersten Schnee. Die Menschen haben über die Jahre ein feines Empfinden entwickelt dafür, was ihnen demnächst wohl das Wetter bringen wird. Jeder spürt das Herannahen des Regens oder den Herbststurm und eben auch das sanfte Herabfallen des ersten Schnees. Man kann ihn mit der Nase wahrnehmen und am frühen Morgen bereits riechen, den ersten Schnee, den es am Abend oder in der Nacht dann tatsächlich geben wird. Wer am Tag hin und wieder zum Himmel aufschaut, kann dort, wo sich in der Ferne Erfurt erahnen läßt, die langsam herannahenden Schneewolken sehen, oder sie ziehen von Frankenhausen herauf. Und nach langer Nacht sind am anderen Morgen Schul- und Arbeitswege verschneit, die Straßen und Gassen, alle Winkel, Vorgärten und Plätze, die Dächer der Stadthäuser mit Watte aus Schneekristallen bedeckt, gleichsam Markt, Ratshäuser, Schloß und Park, der Friedhof und das Brückental, das Jechator und der Franzberg, wie von Zauberhand mit einer weißen sanften Schneedecke überzogen, daß es dann doch wieder jeden das Herz mit kindlicher Freude beglückt.



Und die Kinder selbst, die ganz Kleinen, die zum ersten Mal in ihrem Leben gewahr werden, welch seltsame Schönheit sich vor ihnen unverhofft ausbreitet, werden es wiederum ein Leben lang nicht vergessen, daß man daraus auf den verschneiten Wäscheplatz einen Schneemann rollen und formen kann, mit kleinen Kohlestückchen für die Augen und den Mund und einer Möhre für die Nase, obenauf der Hut. Früher schrieb jemand das Jahr auf eine Schiefertafel, setzte sie vor den Schneemann und fertigte ein Erinnerungsphoto. Die Kinder darauf kramen es später einmal hervor, wenn sie selbst alt geworden sind.



Die Kamera ist verpackt, und nun geht es mit dem Schlitten zum Rondell hinauf und wieder hinunter in die Stadt, bis zum Beginn der Possenallee. Und gleich noch einmal von vorn, noch einmal atemlos hinauf und mit Freude wieder von oben talwärts, hinab bis zum Ende des langen Possenwegs, in schneller Fahrt. Bis alle müde sind und in der Abenddämmerung mit leuchtenden Augen und roten Wangen nach Hause gehen.



Mit dem ersten Schnee, ob er im November bereits kam oder erst im Dezember, ob es nun im hundertjährigen Kalender für Sondershausen so vermerkt war oder nicht, beginnt die Vorweihnachtszeit, die stille Zeit mit den Erinnerungen, wie es früher einmal war. Alles Denken und Handeln läßt sich in dieser Zeit von nachdenklicher Sanftmut leiten, aller Streit ist vergessen, und die Erwachsenen werden wieder zu Kindern. Darüber sind wir einen ganzen Monat lang froh, wem es gegeben ist, sogar ein ganzes Jahr, auch in Sondershausen.



HUBBERT APPENRODT

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