Zum zweiten Adventssonntag
Vom vorweihnachtlichen Zauber in der Kindheit und vom vorweihnachtlicher Glanz und Leuchten in der Stadt
Von HUBERT APPENRODT
Wenn im rotgelben Herbst die letzten Laubfeuer, für uns Kinder
die Kartoffelfeuer, in den kahlen Gärten erloschen waren und die Mütter allen
Rauch aus den Sachen ausgewaschen, wenn die Nebel keine Lust mehr auf den
November hatten und keiner mehr am dunklen Novemberabend ein Gruselmärchen
erzählen wollte, weil nun eine ganz andere Zeit langsam in unsere Herzen
vordrang, verbreiteten sich in der Stadt noch vor den Dezembertagen hierfür unübersehbar
die ersten Anzeichen. Die Vorweihnachtszeit mit ihrem ganz eigenen Glanz, ihrem
Schimmern und Leuchten war gekommen und verbreitete sich auf allen Straßen und
Plätzen, auf den Märkten und in jeder Gasse, leuchtete in den Schaufenstern auf
und drang in alle Häuser und Wohnstuben. Die langen, langen Tage der Erwartung,
der Vorfreude auf das schönste Fest im Jahr waren gekommen.
Ab nun gab es in der Stadt viel zu sehen und zu bewundern.
Am schönsten war es beim Heimgehen in der Abenddämmerung, wenn das warme gelbe Licht
der Schaufenster die Gehwege erleuchtete, mit dem vorfestlichen Straßenlicht.
Und was gab es nicht alles zu bestaunen. Ob nun bei Bäcker Braun oder Bäcker König
auf dem Planplatz, bei Bäcker Müller oder Bäcker Hengstermann oder in den
Auslagen von Bäcker Axt, ihre Familienbetriebe hatten sich in
Weihnachtsbäckereien verwandelt, von nun an mit Lebkuchenherzen und
Weihnachtsstollen in den Auslagen, mit Weihnachtsplätzchen und
Pfefferkuchenhäuschen, als Blickfang die Herberge mit Maria und Joseph und dem
Jesuskind, gleichfalls aus Backwerk, bewundert von den Hirten, beschützt und
behütet von den Engeln über ihnen und beschenkt von den drei Königen aus dem
Morgenland, alle aus Lebkuchen. Das alles nahmen wir wohl wahr, verweilten aber
nicht lange vor dem Schaufenster und eilten schnell zu den Spielzeugläden. Sie
hatten sich über Nacht in weihnachtsschöne Märchenlandschaften verwandelt, der
große Spielzeugladen gegenüber den Haushaltwaren, aber auch das kleinere
Geschäft von Herrn Opitz in der Hauptstraße weiter oben. Die Überfülle und
Farbenpracht in den Auslagen ließ unsere Kinderherzen höher schlagen, und wir
verweilten lange vor den Schaufenstern, ob es nun kalt war, nieselte oder
erster Schnee fiel, das war uns gleich.
Kein Geschäft in diesen Tagen, in der Ober- oder Unterstadt,
das sich nicht auf die Tage im Advent und das bevorstehende Fest eingestellt
hatte. Ob nun Schuhhaus Zander oder der Uhren- und Schmuckladen Scholz, ob das Möbelhaus
Faßheber oder Friseurgeschäft Kirchner, selbst die Apotheken und Optikerläden
ließen im Schaufenster zwischen ihren Angeboten die Vorweihnachtszeit aufleben.
Auch das kleine Geschäft für Fahrräder und Zubehör in der Hauptstraße von Frau
Schwarzkopf, einer freundlichen Frau, die immer lächelte, aber manchmal
vielleicht doch auch ein bißchen traurig war. Überall waren nun grüne
Tannenzweige zu sehen, behangen mit Gold- und Silberfäden, versehen mit Glöckchen
und roten Kerzen, rechts und links mit Wichteln und Zwergen, dazwischen wachsame
Hirten, schwebende Engel und Weihnachtsmänner mit Rauschebart, über allen
silberne und goldene Weihnachtsterne. In den Papierwarenläden lag jetzt das Weihnachtssortiment
obenauf, Weihnachtspapier und Weihnachtskarten, die roten Schleifen und Bänder,
die bunten Weihnachtsteller für die Äpfel und Apfelsinen, für die Nüsse und Süßigkeiten
unterm Tannenbaum. Nicht fehlen durften die Nikolausstiefel für den sechsten
Dezembertag. Im Blumengeschäft Spieß waren Adventskränze erhältlich, die
Weihnachtsbäume selbst gab es dann in der letzten Woche vor dem Fest auf dem
Weihnachtsmarkt.
Wohl jeder wurde in dieser Zeit vom Zauber der
Vorweihnachtszeit erfaßt. Am meisten wir Kinder. In den Wohnstuben war es warm
und behaglich. Jeder Morgen im Dezember war ein erwartungsfroher Dezembermorgen,
der Wunschzettel war längst fein säuberlich geschrieben, jede Stunde am Tag war
mit Frohsinn gefüllt, der Abend war den Märchen und alten Erzählungen
vorbehalten. In manchem Jahr fehlte zur Vollkommenheit nur der erste Schnee. In
der Erinnerung ist er immer da. Da steht das staunende Kind hinter dem Fenster
mit leuchtenden Augen und ruft, es schneit, es schneit.
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