Aus vergangenen Kindheitstagen im Herbst
mit Kastanien und Kartoffelfeuer
Zum Herbstanfang eine kleine
Erinnerung an vergangene Kindheitstage in Sondershausen
Von HUBERT APPENRODT
Sondershausen. Für uns, als wir noch Kinder waren, war der
Herbst immer dann gekommen, wenn wir nach dem Unterricht in der Gartenstraße
die ersten Kastanien auflesen konnten. Kam über Nacht ein kräftiger Herbstwind
auf, der die Straßen durchwehte und auch an den Laibbäumen am Gottesacker rüttelte,
war am Morgen der breite Gehweg oft mit halb aufgeplatzten Früchten reichlich
übersät, und wir lasen die Kastanien recht schnell auf.
Manche verwendeten wir zum Basteln, zu Hause oder im
Werkkundeunterricht. Dazu wählten wir verschiedene Größen aus, nahmen Eicheln
hinzu, Moos und kleine Zweige, und im Nu zierten kleine Herbstlandschaften mit
Figuren eine Ausstellungsvitrine in unserer Schule oder bei uns zu Hause den
kleinen Stubentisch am Wohnzimmerfenster. Wenn unsere Nachbarin Frau Baumbach aus
ihrem Garten in Stockhausen, in den sie mich manchmal mitnahm, ihren
alljährlichen Strauß Herbstastern vorbeigebracht hatte, war das gleichwohl ein
Zeichen, daß nun der Herbst gekommen war. Und ich nahm meinen Malkasten und
verewigte den rötlichen Herbstzauber auf Aquarellpapier. Das kaufte ich immer
im Schreibwarengeschäft bei Emmi Weide, in der Hauptstraße neben dem alten
Thüringer Hof.
Neben den Kastanien in der Gartenstraße trugen auch die
Rotbuchen neben unserer Schule in der Puschkinpromenade oft reichliche Früchte,
die wir gleichfalls aufsammelten. Immer im September, wenn es ein trockenes
Jahr gegeben hatte, gab es sehr viele von ihnen, im folgenden Jahr stets nur
wenige. Einmal hob Winfried aus meiner Klasse eine von den Bucheckern auf,
zerbrach die seltsam geformte rauhe Schale und zeigte uns die beiden braunglänzenden
Nüsse: „Die kann man essen.“ - „Die schmecken sogar“, sagte Herbert. Bernd
blieb skeptisch, aber dann probierte er auch eine von ihnen.
Wenn in der Wind- und Hainleite die Wälder begannen sich zu
verfärben, im Schloßpark und in den Alleen die ersten Blätter herabfielen, war
es bald Zeit, überall das Laub zusammenzufegen, und wir freuten uns auf die Herbstfeuer.
Wir besorgten uns Kartoffeln, die wir auf Holzstöckchen aufspießten und in die
Glut hielten. Die bald garen Kartoffeln schmeckten wunderbar, die kleinen
Aschereste störten uns nicht.
Am letzten Schultag vor den Herbstferien brachte Frau
Rosenstiel ihr Akkordeon mit in ihre Schulklassen,
und wir sangen das wunderbare Herbstlied „Bunt sind schon die Wälder - mit Blick
hinaus ins Weite und Freie und mit Vorfreude auf die Ferientage. Frau
Rosenstiel wird bald neunzig Jahre und spielt noch immer herrlich auf ihrem
Akkordeon - zu den Proben oder, wenn der Chor Stimme der Heimat einen Auftritt
hat.
Später, als wir zu den älteren Schülern zählten, fuhren wir mehrere
Male während der Herbstferien zum Kartoffellesen aufs Land. Für jeden gefüllten
Korb gab es eine Marke, die dann nach Ende der Tageslese verrechnet wurden.
Meistens für die Klassenkasse, für einen Ausflug im Frühjahr zur iga nach
Erfurt oder zum Schulabschluß nach Oberwiesenthal für eine letzte unvergeßliche
gemeinsame Woche – mit Herrn Rosenstiel und seiner Frau, dem Direktor unserer
Schule und unserem Klassenlehrer. Bei beiden haben wir viel gelernt.
Was gehörte noch in unserer Kindheit zum Herbst: die
Geschichte im Lesebuch vom Igel mit aufgespießtem Apfel auf dem Rücken, die Äpfel
aus dem Garten meines Großvaters für den Winter, manchmal neue Schuhe oder eine
neue lange Hose für die kühlen Tage, einige endlose Regentage, an denen wir
unsere Märchenbücher hervorholten, eine kleine Erkältung, einige wundersame Herbststürme,
die Novembernebel, das Totengedenken - die ersten Adventssonntage.
In diesen Tagen traf ich vor der Haustür meinen Nachbarn
Daniel, seit dem August drei Jahre, der mit seiner Mutter vom Kindergarten gerade
nach Hause kam - in der Hand eine braunglänzende Kastanie. Und woher hast du
sie, fragte ich. Die hat mir, sagte Daniel, der Herbst geschenkt.
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