Erinnerungen als
ungeschriebenes Buch
zum ewigen Lehrer- und
Schülernachruhm
Kleine
Sondershäuser Alltagsgeschichte – unsere Klassentreffen
Klassentreffen sind
stets kleine Erinnerungsfeste. Am Beginn steht der erste Schultag, der allen
Erinnerungen voranleuchtet. Das war für uns vor sechzig Jahren, an einem
Donnerstag, am ersten September. Da saßen wir zum ersten Mal neugierig
nebeneinander in der Aula der Käthe-Kollwitz-Schule. Vornehmlich unsere Mütter
hatten uns auf diesen Tag vorbereitet und darauf, was danach vor allem auf uns
zukäme, allerlei Pflichten, zum aufmerksamen Zuhören und fleißigen Lernen und
Erledigen der Hausaufgaben. Zunächst aber erst einmal der freudige Empfang der
Zuckertüten vom großen Zuckertütenbaum in der Aula. Herr Muhlack, der
Schuldirektor, hielt eine kleine Ansprache, danach trugen einige von den
größeren Schülern Gedichte für uns Erstkläßler vor, und sie sangen einige Lieder.
Frau Rosenstiel begleitete sie dazu auf dem Akkordeon, das sie noch heute
spielt. Nach der kleinen Feier gingen wir durch das Schulgebäude und betraten
ein wenig aufgeregt zum erstenmal unsere Unterrichtsräume. Wir setzten uns
still in die Bankreihen. Wir waren jetzt Schüler der Klasse 1a und 1b und
lauschten andächtig den Worten von Fräulein Weiß und Fräulein Kirchner, unseren
Klassenlehrerinnen – an unserem ersten unvergeßlichen Schultag.
Wenn zum Klassentreffen die Einladungen
verschickt, am vereinbarten Tag alle erschienen, begrüßt und wiedererkannt
sind, genügt es, für einen Augenblick die Augen zu schließen, und alles
Vertraute von damals stellt sich sogleich wieder ein – das gemeinsame Lernen
und Heranwachsen, die Erinnerung an Freundschaften, Vorlieben und weitererzählte
Geheimnisse, die Vergabe von Spitznamen an unsere Lehrer. Ein Jahr war damals
für uns noch unendlich lang, die Woche verging kaum, ein Tag hatte so viele
Stunden. Vielleicht nahmen wir gerade deshalb so vieles an Erinnerungswertem in
uns auf – für später, für das große Gespräch über unser Schülerdasein, das immer
wieder neu geführt werden will. So war das beim Klassentreffen im Altstadtcafe
vor sechs Jahren, und so war es auch vor zwei Jahren beim Wiedersehen im
Thüringer Hof – mit anschließender Stadtbesichtigung und Klassenfoto am
sonnigen Spätnachmittag am Sondershäuser Markt.
In diesem Jahr war für ein neues
Zusammentreffen der Possen auserwählt worden, am ersten Juniwochenende, zu dem
wir in der Schulzeit oft hinaufgewandert waren. Und so saßen wieder einmal die
ehemaligen Schüler aus der A neben den Schülern aus der B, also die
wohlgeratenen Söhne und Töchter der einen Klasse, wie wir das damals empfanden,
neben jenen mit leichtem Hang zu Anarchie und Aufmüpfigkeit. Das sagten wir uns
gegenseitig nach; inzwischen sind wir frei von allen Vorurteilen. Gereifte
Banknachbarn der einen Klasse plauderten mit den Banknachbarn der
Parallelklasse. In diesem Jahr im reservierten Festsaal des Possenrestaurants -
vor großen hellen Fenstern unseres Lebens, an einer langen Tafel der
Erinnerungen. Die kleinen Erzählungen schwirrten laut und gar nicht leise durch
den Raum, begegneten und ergänzten einander. Sammelte jemand alle einmal ein,
ergäbe das ein dickes Buch zum ewigen Schüler- und Lehrernachruhm.
Wenn bei unseren Klassentreffen der Nachmittag
gekommen ist, gibt es immer eine Überraschung. In diesem Jahr war es das
Ansetzen eine Schulsportstunde mit kräftiger Eröffnung: Sport frei!, und wie
damals mit Antreten, Ausrichten, Durchzählen, Stationsbetrieb, mit Gewinnern
und Trostpreisen, mit viel Spaß. Und besinnlichem Ausklang dann später nach der
Kaffeestunde am Nachmittag, zum Beginn der Abenddämmerung, der Zeit, sich zu
verabschieden, mit dem Versprechen, das nächste Mal wiederzukommen.
Unsere angenehmen Klassentreffen haben wir
einem glanzvollen Vorbereitungskomitee zu verdanken, dem nur ehemalige
Mitschülerinnen angehören. Sie tagen alle sechs Wochen, in alphabetischer
Reihenfolge: Christel, Dorothea, Hannelore, Marga, Regina und Veronika, denen
bereits jetzt für das nächste Treffen in der Stillen Liebe unser Dank im voraus
gebührt – und allen anderen auch, die in Sondershausen und anderswo im
Landkreis für ihre Mitschüler gleichfalls erinnernswerte Klassentreffen
organisieren. Das Leben ist ein langsamer, ruhiger Fluß - bei gegebenem Anlaß
läßt sich darüber heiter und vergnügt erzählen.
HUBERT APPENRODT
Da möchte man das nächste Klassentreffen doch glatt vor verlegen, wenn so schön darüber geschrieben wird.
AntwortenLöschen