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Donnerstag, 10. März 2016




Wie der Sommer nach Sondershausen kommt

Für alle kleinen und großen Kinder das Sondershäuser Sommermärchen

Es ist auf der ganzen Welt so. Wenn es dem Menschen zu gut geht, erfassen ihn trübe Gedanken. Nicht anders ergeht es immer wieder dem empfindsamen Frühling in Sondershausen. Es hilft ihm nur wenig, daß er einst im März frohgemut mit Blumenkränzen und Nachtigallen das unsichtbare Stadttor durchschritt - voller Freude, Lebenskraft und Zuversicht. Die Maikühle kommt ja doch. Obwohl es in allen Gärten grünte und blühte, wie es das städtische Pflichtenheft vorsah, es wurden auch reichlich frühlingshafte Bande geknüpft, alle Frühlingsfarben konnten gezählt und auf Prüfbögen der städtischen Frühlingsbeamten ausgewiesen werden, am ersten Maientag erfaßte ihn dennoch große Betrübnis. Da half es auch wenig, daß nahezu alle Sondershäuser Stadtbürger ihn lobten: Haben wir in diesem Jahr nicht einen wunderbaren Frühling! Ihm war es zu kalt. Der städtische Frühlingsarzt notierte: bipolarer Weltschmerz bei anhaltender Maikühle, länger als drei Wochen, arbeitsunfähig.



„Verlorene Zeit, verlorene Tage“, sprach der Frühling am nächsten kühlen Morgen beim Spazierengehen im Schloßpark vor sich hin.“ Und stellte noch betrübter fest: „Und die Hälfte meiner Zeit als Frühjahr ist ja auch schon wieder rum.“ Wie im Fluge vergangen. Die Schwäne, die sich das anhörten, bekümmerte das nicht sonderlich. In jedem Jahr sei das so, immer, wenn wir einen kühlen Mai haben. Die Enten sahen noch nicht einmal auf, und auch die anderen Spaziergänger hatten den klagenden Frühling bereits aus den Augen verloren. Als er mit seinem Weltschmerz den Markt erreichte, klopfte er kurzentschlossen beim Bürgermeister an, wurde hereingebeten und nahm dankbar die Gelegenheit wahr, sich im Bürgermeisteramtszimmer einmal auszusprechen. Der Bürgermeister beruhigend: „Alles halb so schlimm, so ist nun einmal das Leben“, griff rasch zum Telefon und rief den Sommer an: „Geht es in diesem Jahr eher?“



„Ja“, sagte der Sommer. Er hatte den Anruf bereits erwartet, seit dem frühen Morgen saß er neben dem Telefon, die Hand auf dem Hörer. Jahreszeitenklatsch spricht sich schnell herum. Nach der Zusage begannen anderntags sogleich im Rathaussaal zu den vier städtischen Jahreszeiten die Neuverhandlungen. Der Bürgermeister hatte die Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Am Tisch saßen sich betrübter Frühling mit wärmendem Hipsterschal auf der einen und frohsinniger Sommer im goldgelben Hemd auf der anderen Seite gegenüber, der Bürgermeister trug ihnen den Textentwurf zum Neuvertrag vor. Zum Aufhellen der Stimmung tranken sie vorsichtshalber ein Gläschen vom Guten. Dazu reichte der Bürgermeister gegen die städtische Hausordnung teure Orientzigaretten, mit Mundstück, aus altem Bestand.



Wie in alten Zeiten, die Bedingungen waren schnell angenommen. Der Frühling zieht zur Gemütsaufhellung vom Schloßturm vorzeitig in den lichthellen Westflügel des Schlosses, der Sommer vor seiner Zeit ins amtliche Schloßturmzimmer. Dann noch dies und das und jenes und für dem Frühling die Möglichkeit, die verbleibenden Tage bis zum kalendarischen Sommerbeginn als Stadtschreiber zu verbringen. Für Gedichte und Elogen auf das kleinstädtische Großstadtleben in Sondershausen, auf den Klimawandel und die Liebe. Und auf die Loh-Musiker, die Noten und das Orchester, auf Sondershäuser Schulen mit angenehmem Frontalunterricht und rebellische Kindergärten mit Nudelgerichten. Auf Eisbein und Sauerkraut im Thüringer Hof - und schwere Sahnetorten im Cafe Pille. Der Frühling war einverstanden, Der Sommer nahm noch einen Schluck aus dem Gläschen vom Guten und war beschwipst und auch einverstanden. Der Bürgermeister ging zum Rathausöfchen und zündete ein Feuerchen an. Über dem Rathaus stieg weißer Rauch auf. Der Sommer war in sein Amt eingesetzt, vollgültig, auf einer Urkunde: Plautsch!, mit dem schweren Bürgermeisteramtsstempel für vorzeitige Jahreswechsel versehen! Ab dem ersten Juni würde ununterbrochen wie in jedem Jahr den ganzen Sommer über die Feriensonne scheinen. Alle waren zufrieden, reichten sich die Hand und traten gemeinsam zum Pressefoto vor das Rathaus. Es war sommerlich warm.



Als sich alle verabschiedet hatten, brach langsam die Abenddämmerung herein, und in die Stadt hielt der städtische Abendfrieden seinen Einzug. Vor dem Jechator acht betrachtete Daniel, in wenigen Wochen drei Jahre, den aufgehenden Vollmond, der zu ihm ins Zimmer hineinleuchtete, nachdem seine Mutter ihn zum Schlafen gebettet hatte, und hörte seinen Vater auf dem Balkon noch etwas sagen. „Seltsam“, sagte der Vater, der noch eine Zigarette rauchte, „es war heute den ganzen Tag über warm wie im August.“ – „Oder wie in Afrika“, dachte Daniel bei sich, bevor er einschlief: „In Afrika ist immer August“. Das hatte er aus dem Kindergarten mit nach Hause gebracht.



So kam in diesem Jahr der Sommer nach Sondershausen, so ist es fast in jedem Jahr.

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