Zum vierten Advent
Von Weihnachtsfeiern und vom Leuchten
des großen Weihnachtssterns im alten Krankenhaus
Von HUBERT APPENRODT
Einmal war wieder alles um das Haus herum dick verpackt mit
Schnee, da wachte ich am frühen Morgen auf, sah zum Fenster hinaus und freute
mich darüber, zog mich rasch an, nachdem ich mich gewaschen hatte, und verließ
gleichfalls dick verpackt das Haus, ging munter die eine Treppe herunter und
dann auch noch die andere. Beide gehörten zum Haus hinterm Krankenhaus, in dem
wir wohnten, und führten hinab zum Fahrweg des Krankenhauses.
Die Luft war so klar, der Schnee so weiß, daß zum
vollkommenen Winterglück eigentlich nur noch silberne Klänge in der Luft gehört
hätten. Aber auch so konnte man sich über die prachtvolle Ankunft des Winters
freuen. Am hinteren Eingang zum Krankenhaus, dort, wo die Krankenwagen hielten
und die Patienten auf Tragen zur Aufnahme gebracht wurden, blieb ich stehen.
Ich sah, wie Herr Aschoff, der sich um alle Hofarbeiten kümmerte, zusammen mit
Herrn Baumbach, dem Heizer, eine große Leiter aufstellte, um im Vorraum hoch
oben an der Decke wie in jedem Jahr den großen Weihnachtstern anzubringen. Herr
Baumbach hielt die Leiter fest, und Herr Aschoff stieg hinauf und wechselte vorsichtig
die runde Glaskugel gegen den großen Weihnachtsstern aus. Der leuchtete von nun
an jedem entgegen, der in den Dezembertagen und über Weihnachten im Krankenhaus
verbleiben mußte und vermittelte allen vielleicht auch ein wenig Trost und
Zuversicht. All die Jahre hatte ich nie gesehen, wer eigentlich den Stern
anbringt. Immer wenn ich am ersten Dezember aus der Schule kam, leuchtete er
bereits. Und mit seinem wunderbaren farbenfrohen Licht begann nun auch für mich
jedesmal die Vorweihnachtszeit, und ich freute mich auf die kommenden Adventssonntage
und auf das Weihnachtsfest selbst.
In jedem Jahr gab es für die Kinder der Schwestern, Pfleger
und Ärzte und alle anderen Angestellten eine kleine Weihnachtsfeier. Dafür
wurde der große Kulturraum in einem Nebengebäude des Krankenhauses sorgfältig hergerichtet.
An langen Tischen saßen dann am Nachmittag die kleinen Weihnachtsgäste erwartungsfroh
vor ihnen Tellern mit Plätzchen und Stollen, in der Tischmitte Riesenkannen mit
Kakao. Vor der Bescherung erwarteten wir Kinder gemeinsam mit den Eltern das kleine
Märchenspiel, das in jedem Jahr gegeben wurde. An Rotkäppchen und der Wolf kann
ich mich erinnern. Die Rollen hierfür hatten einige Lehrschwestern einstudiert.
Aber bevor alles begann, kam nach einer Begrüßung bedächtig der kräftige Chefarzt
Doktor Grauling zur Tür herein, setzte sich ans Klavier und spielte zwei
Weihnachtslieder, wozu einige Schwestern sangen. Dann brach Rotkäppchen
zwischen aufgestellten Tannenbäumchen zur Großmutter auf, traf unterwegs auf
den Wolf, ein Ungemach folgte dem anderen, aber alles nahm doch noch ein gutes
Ende, nachdem der Wolf im Brunnen festsaß. Die Großmutter war wieder frei,
Rotkäppchen nicht mehr in Gefahr, der Jäger ein Held- Wir atmeten alle erleichtert
auf. Und dann, mitten in die Stille hinein, klopfte es laut an die Tür,
mehrmals, und laut. Die Tür öffnete sich, herein kam im roten Mantel, mit langem
weißem Bart, die Rute in der Hand, den Sack auf dem Rücken, der Weihnachtsmann,
wir hielten den Atem an, jedesmal. Das Christkind begleitete ihn und half beim
Verteilen der Geschenke, die die Eltern eine Woche vorher im Krankenhaus
abgegeben hatten. Jedem klopfte das Herz, dem
Weihnachtsmann konnte man sich, wenn man aufgerufen wurde, nur
ehrfurchtsvoll nähern, und schnell ging es wieder nach einer Verszeile erlöst
und frohen Herzens mit dem Päckchen zum Platz zurück.
Eine andere Weihnachtsfeier war besonders gelungen und fand
im Saal des Jugendklubhauses statt, weil die Anzahl der kleine Gäste von Jahr
zu Jahr zunahm. Auf der Bühne öffnete sich der Vorhang, und alle waren sogleich
still. Gegeben wurde ein Krippenspiel, gut ausgeleuchtet und in wunderbaren
Kostümen. Die Engel weckten die Hirten auf freiem Feld, die aufbrachen, um das
Jesuskind in der Herberge aufzusuchen, behütet von Joseph und Maria, die es eben
auf die Welt gebracht hatte. Die drei Könige aus dem Morgenland kamen und
brachten als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe. Zum Schluß dankte ein Chor
dem himmlischen Geschehen auf Erden mit einem alten Weihnachtslied. Eine Köchin
aus dem Krankenhaus hatte die Maria gespielt, ihr stets freundlicher, aber
stiller Mann, der ein wenig hager war, den Joseph. Als wären beide dafür auf
die Welt gekommen, nie wieder sah ich eine bessere Maria, nie eine besseren
Joseph. Und das blieben beide auch für mich, bis ins Erwachsenenalter hinein,
bis heute. Sooft ich auch später der Köchin und ihrem Mann begegnete, immer sah
ich in ihnen Maria und Joseph aus dem Geschehen in der Herberge. Vielleicht
hätte ich das beiden auch einmal erzählen sollen, es hätte sie vielleicht
gefreut.
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