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Montag, 7. März 2016


Zum vierten Advent

Von Weihnachtsfeiern und vom Leuchten
des großen Weihnachtssterns im alten Krankenhaus 


Von HUBERT APPENRODT


Einmal war wieder alles um das Haus herum dick verpackt mit Schnee, da wachte ich am frühen Morgen auf, sah zum Fenster hinaus und freute mich darüber, zog mich rasch an, nachdem ich mich gewaschen hatte, und verließ gleichfalls dick verpackt das Haus, ging munter die eine Treppe herunter und dann auch noch die andere. Beide gehörten zum Haus hinterm Krankenhaus, in dem wir wohnten, und führten hinab zum Fahrweg des Krankenhauses.


Die Luft war so klar, der Schnee so weiß, daß zum vollkommenen Winterglück eigentlich nur noch silberne Klänge in der Luft gehört hätten. Aber auch so konnte man sich über die prachtvolle Ankunft des Winters freuen. Am hinteren Eingang zum Krankenhaus, dort, wo die Krankenwagen hielten und die Patienten auf Tragen zur Aufnahme gebracht wurden, blieb ich stehen. Ich sah, wie Herr Aschoff, der sich um alle Hofarbeiten kümmerte, zusammen mit Herrn Baumbach, dem Heizer, eine große Leiter aufstellte, um im Vorraum hoch oben an der Decke wie in jedem Jahr den großen Weihnachtstern anzubringen. Herr Baumbach hielt die Leiter fest, und Herr Aschoff stieg hinauf und wechselte vorsichtig die runde Glaskugel gegen den großen Weihnachtsstern aus. Der leuchtete von nun an jedem entgegen, der in den Dezembertagen und über Weihnachten im Krankenhaus verbleiben mußte und vermittelte allen vielleicht auch ein wenig Trost und Zuversicht. All die Jahre hatte ich nie gesehen, wer eigentlich den Stern anbringt. Immer wenn ich am ersten Dezember aus der Schule kam, leuchtete er bereits. Und mit seinem wunderbaren farbenfrohen Licht begann nun auch für mich jedesmal die Vorweihnachtszeit, und ich freute mich auf die kommenden Adventssonntage und auf das Weihnachtsfest selbst.



In jedem Jahr gab es für die Kinder der Schwestern, Pfleger und Ärzte und alle anderen Angestellten eine kleine Weihnachtsfeier. Dafür wurde der große Kulturraum in einem Nebengebäude des Krankenhauses sorgfältig hergerichtet. An langen Tischen saßen dann am Nachmittag die kleinen Weihnachtsgäste erwartungsfroh vor ihnen Tellern mit Plätzchen und Stollen, in der Tischmitte Riesenkannen mit Kakao. Vor der Bescherung erwarteten wir Kinder gemeinsam mit den Eltern das kleine Märchenspiel, das in jedem Jahr gegeben wurde. An Rotkäppchen und der Wolf kann ich mich erinnern. Die Rollen hierfür hatten einige Lehrschwestern einstudiert. Aber bevor alles begann, kam nach einer Begrüßung bedächtig der kräftige Chefarzt Doktor Grauling zur Tür herein, setzte sich ans Klavier und spielte zwei Weihnachtslieder, wozu einige Schwestern sangen. Dann brach Rotkäppchen zwischen aufgestellten Tannenbäumchen zur Großmutter auf, traf unterwegs auf den Wolf, ein Ungemach folgte dem anderen, aber alles nahm doch noch ein gutes Ende, nachdem der Wolf im Brunnen festsaß. Die Großmutter war wieder frei, Rotkäppchen nicht mehr in Gefahr, der Jäger ein Held- Wir atmeten alle erleichtert auf. Und dann, mitten in die Stille hinein, klopfte es laut an die Tür, mehrmals, und laut. Die Tür öffnete sich, herein kam im roten Mantel, mit langem weißem Bart, die Rute in der Hand, den Sack auf dem Rücken, der Weihnachtsmann, wir hielten den Atem an, jedesmal. Das Christkind begleitete ihn und half beim Verteilen der Geschenke, die die Eltern eine Woche vorher im Krankenhaus abgegeben hatten. Jedem klopfte das Herz, dem  Weihnachtsmann konnte man sich, wenn man aufgerufen wurde, nur ehrfurchtsvoll nähern, und schnell ging es wieder nach einer Verszeile erlöst und frohen Herzens mit dem Päckchen zum Platz zurück.

Eine andere Weihnachtsfeier war besonders gelungen und fand im Saal des Jugendklubhauses statt, weil die Anzahl der kleine Gäste von Jahr zu Jahr zunahm. Auf der Bühne öffnete sich der Vorhang, und alle waren sogleich still. Gegeben wurde ein Krippenspiel, gut ausgeleuchtet und in wunderbaren Kostümen. Die Engel weckten die Hirten auf freiem Feld, die aufbrachen, um das Jesuskind in der Herberge aufzusuchen, behütet von Joseph und Maria, die es eben auf die Welt gebracht hatte. Die drei Könige aus dem Morgenland kamen und brachten als Geschenke Gold, Weihrauch und Myrrhe. Zum Schluß dankte ein Chor dem himmlischen Geschehen auf Erden mit einem alten Weihnachtslied. Eine Köchin aus dem Krankenhaus hatte die Maria gespielt, ihr stets freundlicher, aber stiller Mann, der ein wenig hager war, den Joseph. Als wären beide dafür auf die Welt gekommen, nie wieder sah ich eine bessere Maria, nie eine besseren Joseph. Und das blieben beide auch für mich, bis ins Erwachsenenalter hinein, bis heute. Sooft ich auch später der Köchin und ihrem Mann begegnete, immer sah ich in ihnen Maria und Joseph aus dem Geschehen in der Herberge. Vielleicht hätte ich das beiden auch einmal erzählen sollen, es hätte sie vielleicht gefreut.
 

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