Heraus zum ersten Mai in Sondershausen |
Heraus zum ersten Mai in Sondershausen!
Eine Erinnerung an Vorwoche und Vorabend zum ersten Mai, als
wir noch zur Schule gingen
VON HUBERT APPENRODT
In der Vorwoche zum ersten Mai trafen wir uns am Nachmittag
in der Schule, um auf dem Pausenhof die Transparente zu gestalten, die die
einzelnen Klassen während der Maidemonstration in unserer kleinen ehemaligen
Residenzstadt mitführen sollten. Dafür hatte unser Zeichenlehrer und Kunsterzieher
Helmut Frenzel einige Schüler angesprochen. Aus dem Abstellraum neben dem
Fahrradschuppen holten wir die Transparente vom vergangenen Jahr hervor, die
irgendwann einmal im Werkunterricht angefertigt worden waren. Wir entfernten
die alte Beschriftung, versahen den Rahmen mit einer neuen Bespannung und
gingen mit Pinsel und Farbe frisch ans neue Losungswerk. Mißlang eine
Beschriftung, weil ein Wort zu lang war, am Ende der Platz nicht reichte,
halfen eine neue Bespannung und eine genauere Vorskizze weiter. Die Losungen
ergaben sich aus dem Schul- und Pionierleben, waren vorher besprochen und
ausgewählt worden: „Wir Kinder wollen keinen Krieg! Wir lernen für den
Frieden!“ oder: „Gute Noten und Zeugnisse – unser Beitrag zum Aufbau des
Sozialismus!“, „Wir lernen für eine bessere Zukunft!“.
Einem Aufruf der Pionierorganisation folgend, brachten in
einem Jahr einige Schüler kleine Leiterwagen in der Maivorwoche mit zur Schule,
die mit der Hand gezogen werden konnten, und wir fertigten einen Pionierexpress
– zu Ehren irgendeines Parteitags oder Jahrestags der DDR. Mit Pappe statteten
wir den ersten Wagen mit Tender, Führerstand und gemütlichem Lokführer aus und
einer schwebenden dicken Rauwolke über dem Schornstein der Lokomotive. Die drei
Wagen hinter ihr erhielten Abteilfenster, aus denen glückliche Mädchen und
freundliche Jungen aus aller Welt schauten, in Freundschaft verbunden: Junge
Pioniere und Chinesen, Afrikaner und sowjetischen Pioniere. Weil der Express
die erste Zugfahrt bestens bestand, zwei kräftige Jungen zogen mit ihm eine
Runde auf dem großen Pausenhof, wurde er am nächsten Tag mitgeführt. An der
Seite liefen Junge Pioniere in blütenweißem Pionierhemd mit Fähnchen oder mit
Friedenstauben auf einer Transparentstange, die mit bunten Bändern und dem Wort
Frieden in vielen Sprachen versehen waren: Pax, Mir, Peace.
Der Fackelzug am Vorabend
War der Vortag zum ersten Mai gekommen, gab es am Abend
einen Fackelzug durch die Straßen unserer Stadt. Dazu trafen wir uns zur
Abenddämmerung auf dem großen Pausenhof unserer Käthe-Kollwitz-Schule, die
Jungen Pioniere und FDJler und unsere Lehrer. Die Mitglieder des Fanfarenzuges
in weißem Pionier- oder blauem FDJ-Hemd brachten ihre Instrumente mit – die
schweren und leichten Trommeln und natürlich die Fanfaren. Die Lehrer
verteilten Fackeln an die Außenläufer, die, bevor wir loszogen, an einer
Hauptfackel entzündet wurden. Danach nahmen wir wieder hinter dem Fanfarenzug
klassenweise Aufstellung, zuerst die Jungpioniere, hinter ihnen in späteren
Jahren die Thälmannpioniere. Den Abschluß bildeten die Mädchen und Jungen der
oberen Klassen im FDJ-Hemd. Die Mädchen kicherten fortwährend, die Jungen
strahlten Erhabenheit aus, gaben ein wenig an und freuten sich auf das
Herumstromern mit den Mädchen nach Ende des Fackelzugs. Einige vorbildliche
artige großen Kinder gingen sofort nach Hause – Papa und Mama hatten es so
angeordnet
Wenn Herbert Bartsch, der Pionierleiter unserer Schule und
Leiter des Fanfarenzuges, den Tambourstab hob und das Zeichen zum Beginn gab,
trat Stille ein, und wir marschierten los. Zum Schultor hinaus auf die
Alexander-Puschkin-Promenade, die Jechastraße hinunter, um dann zum Sportplatz
abzubiegen oder in späteren Jahren auf die lange Hauptstraße zu gelangen. An
den Seiten die Lehrer und einige Eltern, die darauf achteten, daß nichts
passierte, das Frozzeln und Herumalbern sich in Grenzen hielt.
In den Anfangsjahren, wie bereits erwähnt, endete unser
Fackelzug auf dem Sportplatz mit einer Abschlußrede unseres
Freundschaftspionierleiters zur Bedeutung des 1. Mais für uns Pioniere und
FDJ-Mitglieder. So erinnert sich aus unserer Klasse meine Mitschülerin Anni. Ich
erinnere mich, daß er auch einmal in der der Lohstraße endete, in der Nähe der
errichteten Maitribüne, die bis zum anderen Morgen von freiwilligen Helfern der
Volkspolizei bewacht wurde. Es hätte ja jemand eine Losung feinsinnig übermalen
können, mit Datumsangabe: 17. Juni 1953.
In der Lohstraße war ein kleines Feuer entfacht worden
für die Fackelreste, überwacht von freiwilligen Feuerwehrleuten der Stadt, die
dafür sorgten, daß weder Flammen noch Funkenflug einen Schaden anrichten
konnten.
Nach Auflösung des Fackelzuges gingen die Kleinen mit ihren
Eltern nach Hause. Wir Größeren stromerten vor dem Heimweg in kleinen Gruppen
neugierig noch durch die Stadt, die Mutigen auch durch den unbeleuchteten
Schloßpark. War es am Vorabend bereits sommerwarm, waren in der Stadt Türen und
Fenster der Gaststätten weit geöffnet. Und der trunkene Lärm drang bis auf die
Straße und hielt bis weit nach Mitternacht an. Verdiente Werktätige des Volkes
hatten auf feierlichen Betriebsversammlungen zum ersten Mai, dem
„Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und
Sozialismus“, Auszeichnungen und Prämien erhalten. Mitunter führte das in
fortgeschrittener Gaststättenstunde zu neidvollen Bemerkungen: „Warum wurde der
eigentlich ausgezeichnet? Weil er in der Partei ist?“ – „Laß ihn doch!“ War der
Betroffene in Sichtweite, konnte es auch heißen. „Komm, gib einen aus – und
alles ist gut!“
Anni aus meiner Klasse erinnert sich:
Der Abend vor dem 1. Mai
war ganz geheimnisvoll. Wir fühlten uns schon wie die „Großen“. Hinter
dem Fanfarenzug marschierten die Jungen Pioniere, danach kamen die
FDJ-Mitglieder. Wir sind zum Sportplatz marschiert, diesen buckeligen Weg zum
Jugendklubhaus hinunter. An soviel kann ich mich auch nicht erinnern. Ob wir
die letzte Schule dann waren? Ich selber war eine Zeitlang im Fanfarenzug ganz
stolz darauf, als Tieftrommler mitzuwirken. Die Abschlußrede auf dem Sportplatz
hielt Herrn Bartsch, unser Freundschaftspionierleiter an der Schule, bevor wir
die Fackeln, die inzwischen fast abgebrannt waren, auftürmten – „Für Frieden
und Sozialismus, seid bereit!“ - „Immer
bereit!“ Es war ein Friedensfeuer.
Am 1. Mai war unser Marschroute: Von der Käthe-Kollwitz-Schule
auf die Alexander-Puschkin-Promenade zum Stadtcafe. Hier kamen die Schüler und
Lehrer der Geschwister-Scholl-Schule dazu. Dann ging es zum heutigen Busbahnhof, die Straße zum Gericht
herauf, dann rechts herunter in Richtung Lohstraße. Auf Höhe der alten
Ladenstraße war die große Maitribüne errichtet worden. An ihr vorbei marschierten
wir in Richtung Post und alter Feuerwehr zum Marktplatz. Dort löste sich der
Maiumzug auf, und das bunte Treiben begann.
Meine Füße taten weh
von den neuen weißen Igelittschuhen. Obwohl ich die hübschen weißen
Kniestrümpfe trug. Daran kann ich mich sehr gut erinnern. Schuhe nannte sich
das, die Dinger kamen wohl auch nur 10 Mark. Aber mehr war bei Mutti damals, in
anderen Zeiten als heute, nicht in der Familienkasse.
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