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Samstag, 14. Mai 2016

Heraus zum ersten Mai in Sondershausen

Heraus zum ersten Mai in Sondershausen!

Eine Erinnerung an Vorwoche und Vorabend zum ersten Mai, als wir noch zur Schule gingen


VON HUBERT APPENRODT



In der Vorwoche zum ersten Mai trafen wir uns am Nachmittag in der Schule, um auf dem Pausenhof die Transparente zu gestalten, die die einzelnen Klassen während der Maidemonstration in unserer kleinen ehemaligen Residenzstadt mitführen sollten. Dafür hatte unser Zeichenlehrer und Kunsterzieher Helmut Frenzel einige Schüler angesprochen. Aus dem Abstellraum neben dem Fahrradschuppen holten wir die Transparente vom vergangenen Jahr hervor, die irgendwann einmal im Werkunterricht angefertigt worden waren. Wir entfernten die alte Beschriftung, versahen den Rahmen mit einer neuen Bespannung und gingen mit Pinsel und Farbe frisch ans neue Losungswerk. Mißlang eine Beschriftung, weil ein Wort zu lang war, am Ende der Platz nicht reichte, halfen eine neue Bespannung und eine genauere Vorskizze weiter. Die Losungen ergaben sich aus dem Schul- und Pionierleben, waren vorher besprochen und ausgewählt worden: „Wir Kinder wollen keinen Krieg! Wir lernen für den Frieden!“ oder: „Gute Noten und Zeugnisse – unser Beitrag zum Aufbau des Sozialismus!“, „Wir lernen für eine bessere Zukunft!“.



Einem Aufruf der Pionierorganisation folgend, brachten in einem Jahr einige Schüler kleine Leiterwagen in der Maivorwoche mit zur Schule, die mit der Hand gezogen werden konnten, und wir fertigten einen Pionierexpress – zu Ehren irgendeines Parteitags oder Jahrestags der DDR. Mit Pappe statteten wir den ersten Wagen mit Tender, Führerstand und gemütlichem Lokführer aus und einer schwebenden dicken Rauwolke über dem Schornstein der Lokomotive. Die drei Wagen hinter ihr erhielten Abteilfenster, aus denen glückliche Mädchen und freundliche Jungen aus aller Welt schauten, in Freundschaft verbunden: Junge Pioniere und Chinesen, Afrikaner und sowjetischen Pioniere. Weil der Express die erste Zugfahrt bestens bestand, zwei kräftige Jungen zogen mit ihm eine Runde auf dem großen Pausenhof, wurde er am nächsten Tag mitgeführt. An der Seite liefen Junge Pioniere in blütenweißem Pionierhemd mit Fähnchen oder mit Friedenstauben auf einer Transparentstange, die mit bunten Bändern und dem Wort Frieden in vielen Sprachen versehen waren: Pax, Mir, Peace.



Der Fackelzug am Vorabend



War der Vortag zum ersten Mai gekommen, gab es am Abend einen Fackelzug durch die Straßen unserer Stadt. Dazu trafen wir uns zur Abenddämmerung auf dem großen Pausenhof unserer Käthe-Kollwitz-Schule, die Jungen Pioniere und FDJler und unsere Lehrer. Die Mitglieder des Fanfarenzuges in weißem Pionier- oder blauem FDJ-Hemd brachten ihre Instrumente mit – die schweren und leichten Trommeln und natürlich die Fanfaren. Die Lehrer verteilten Fackeln an die Außenläufer, die, bevor wir loszogen, an einer Hauptfackel entzündet wurden. Danach nahmen wir wieder hinter dem Fanfarenzug klassenweise Aufstellung, zuerst die Jungpioniere, hinter ihnen in späteren Jahren die Thälmannpioniere. Den Abschluß bildeten die Mädchen und Jungen der oberen Klassen im FDJ-Hemd. Die Mädchen kicherten fortwährend, die Jungen strahlten Erhabenheit aus, gaben ein wenig an und freuten sich auf das Herumstromern mit den Mädchen nach Ende des Fackelzugs. Einige vorbildliche artige großen Kinder gingen sofort nach Hause – Papa und Mama hatten es so angeordnet



Wenn Herbert Bartsch, der Pionierleiter unserer Schule und Leiter des Fanfarenzuges, den Tambourstab hob und das Zeichen zum Beginn gab, trat Stille ein, und wir marschierten los. Zum Schultor hinaus auf die Alexander-Puschkin-Promenade, die Jechastraße hinunter, um dann zum Sportplatz abzubiegen oder in späteren Jahren auf die lange Hauptstraße zu gelangen. An den Seiten die Lehrer und einige Eltern, die darauf achteten, daß nichts passierte, das Frozzeln und Herumalbern sich in Grenzen hielt.



In den Anfangsjahren, wie bereits erwähnt, endete unser Fackelzug auf dem Sportplatz mit einer Abschlußrede unseres Freundschaftspionierleiters zur Bedeutung des 1. Mais für uns Pioniere und FDJ-Mitglieder. So erinnert sich aus unserer Klasse meine Mitschülerin Anni. Ich erinnere mich, daß er auch einmal in der der Lohstraße endete, in der Nähe der errichteten Maitribüne, die bis zum anderen Morgen von freiwilligen Helfern der Volkspolizei bewacht wurde. Es hätte ja jemand eine Losung feinsinnig übermalen können, mit Datumsangabe: 17. Juni 1953. In der Lohstraße war ein kleines Feuer entfacht worden für die Fackelreste, überwacht von freiwilligen Feuerwehrleuten der Stadt, die dafür sorgten, daß weder Flammen noch Funkenflug einen Schaden anrichten konnten.



Nach Auflösung des Fackelzuges gingen die Kleinen mit ihren Eltern nach Hause. Wir Größeren stromerten vor dem Heimweg in kleinen Gruppen neugierig noch durch die Stadt, die Mutigen auch durch den unbeleuchteten Schloßpark. War es am Vorabend bereits sommerwarm, waren in der Stadt Türen und Fenster der Gaststätten weit geöffnet. Und der trunkene Lärm drang bis auf die Straße und hielt bis weit nach Mitternacht an. Verdiente Werktätige des Volkes hatten auf feierlichen Betriebsversammlungen zum ersten Mai, dem „Internationaler Kampf- und Feiertag der Werktätigen für Frieden und Sozialismus“, Auszeichnungen und Prämien erhalten. Mitunter führte das in fortgeschrittener Gaststättenstunde zu neidvollen Bemerkungen: „Warum wurde der eigentlich ausgezeichnet? Weil er in der Partei ist?“ – „Laß ihn doch!“ War der Betroffene in Sichtweite, konnte es auch heißen. „Komm, gib einen aus – und alles ist gut!“



Anni aus meiner Klasse erinnert sich:
Der Abend vor dem 1. Mai  war ganz geheimnisvoll. Wir fühlten uns schon wie die „Großen“. Hinter dem Fanfarenzug marschierten die Jungen Pioniere, danach kamen die FDJ-Mitglieder. Wir sind zum Sportplatz marschiert, diesen buckeligen Weg zum Jugendklubhaus hinunter. An soviel kann ich mich auch nicht erinnern. Ob wir die letzte Schule dann waren? Ich selber war eine Zeitlang im Fanfarenzug ganz stolz darauf, als Tieftrommler mitzuwirken. Die Abschlußrede auf dem Sportplatz hielt Herrn Bartsch, unser Freundschaftspionierleiter an der Schule, bevor wir die Fackeln, die inzwischen fast abgebrannt waren, auftürmten – „Für Frieden und Sozialismus, seid bereit!“ -  „Immer bereit!“  Es war ein Friedensfeuer.

Am 1. Mai war unser Marschroute: Von der Käthe-Kollwitz-Schule auf die Alexander-Puschkin-Promenade zum Stadtcafe. Hier kamen die Schüler und Lehrer der Geschwister-Scholl-Schule dazu. Dann ging es zum  heutigen Busbahnhof, die Straße zum Gericht herauf, dann rechts herunter in Richtung Lohstraße. Auf Höhe der alten Ladenstraße war die große Maitribüne errichtet worden. An ihr vorbei marschierten wir in Richtung Post und alter Feuerwehr zum Marktplatz. Dort löste sich der Maiumzug auf, und das bunte Treiben begann.

Meine  Füße taten weh von den neuen weißen Igelittschuhen. Obwohl ich die hübschen weißen Kniestrümpfe trug. Daran kann ich mich sehr gut erinnern. Schuhe nannte sich das, die Dinger kamen wohl auch nur 10 Mark. Aber mehr war bei Mutti damals, in anderen Zeiten als heute, nicht in der Familienkasse.
 

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