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Sonntag, 15. Mai 2016


Untergehende Sonne an einem stillen Abend im Kyffhäuserkreis, nach einem langen Frühlingstag, besinnliche Landschaft bei Bad Frankenhausen - Foto: Tobias Schindler


Vor langer Zeit an einem Frühlingstag in Sondershausen


In der alten Schäferei treffen die Schwalben aus dem Süden ein, die Schwanenpaare ziehen sich im Park zum Brüten zurück, Dirigent Wiesenhütter probt mit dem Lohorchester Vivaldis Jahreszeiten
 



VON HUBERT APPENRODT



Auf einem kahlen Ast, der zu einem Kastanienbaum im Schloßpark gehört, taut der letzte Schnee vom Winter, der nun vergangen ist. Nur hier und da verblieb ein wenig Schnee. Dicke Tropfen fallen im hellen Frühlingslicht auf den Wegesrand und versetzen für einen Augenblick ein neugieriges Eichhörnchen in Erstaunen – an einem sonnigen Tag, als es die Kleine Wipper noch gab und die Mühle am Parkeingang, nahe der kleinen und großen Wipperbrücke.


In den Stallungen der alten Schäferei Dötzel am Schwarzen Bären sind aus dem fernen Afrika die ersten Rauchschwalben eingetroffen, in ihre alten Kugelnester, die sogleich ausgebessert werden, mit Speichel, Lehm- und Erdklümpchen, versehen mit Heu- und Strohhalmen. Später werden aus dem Süden Mehlschwalben folgen, die mit Vorliebe an den Außenwänden der Schafställe ihre Nester anbringen. Zu den Vorboten des Frühlings zählen auch die Schneeglöckchen. In einem viel bewunderten Garten nahe dem Jugendklubhaus blühen tausend Schneeglöckchen, von Februar bis Ende März, in jedem Frühjahr solange es den Garten gibt.

Als Frühlingsvorboten gelten die geselligen Stare und an den städtischen Gewässern die zierlichen Bachstelzen. Mauersegler an den Türmen der Stadt und Nachtigallen im Park werden erst Ende April erwartet. In den Wäldern der Wind- und Hainleite erwachen Waldameisen aus ihrer Winterstarre, geweckt von der Frühsonne, deren Strahlen ihre angelegten Wohn- und Lebenshügel erwärmen. Die Ameisen durcheilen sogleich die Gänge nach oben ins Freie, um sich von der Sonne wärmen zu lassen. Danach geben sie die Wärme in den Gängen und Bruträumen an den großen Ameisenhügel ab.

Die Sonne erfreut Mensch und Natur. Und wer eben noch krank war, schöpft am hellen Frühlingstag frischen Lebensmut und neue Zuversicht. Am Erwachen der Natur im Park und in den Anlagen, in den Vorgärten und in den Wäldern haben die kleinen und großen Stadtbürger gleichermaßen ihre Freude. „Nun will der Lenz uns grüßen“ singen voller Glücksgefühl in einem Raum neben der Aula der Käthe-Kollwitz-Schule Mädchen und Jungen einer dritten Klasse. Frau Rosenstiel begleitet sie dazu auf dem Akkordeon. Die Schüler haben sich zum Singen erhoben und können beim Gesang zum Fenster hin über die Dächer von Sondershausen hinwegschauen, im Hintergrund sind die flach ansteigenden Felder der Windleite zu sehen, die bald für die Frühjahrsaussaat beackert werden.

Am Haus der Kunst stellt zu dieser Zeit Herr Gertler aus dem Schersental sein Fahrrad ab und eilt mit seiner Violine zur Orchesterprobe für Vivaldis Jahreszeiten, dessen Frühlingssatz am Abend in einem Lohkonzert erklingen soll. Dirigent Gerhart Wiesenhütter hebt den Taktstock und gibt das Zeichen zum Einsatz, die Musiker beginnen gut vorbereitet mit virtuosem Spiel. Die feinsinnige Musik aus dem Barock erwärmt auch ihre Herzen.

In der Hospitalstraße schaltet Schuldirektor Löhrius das Radio an und sagt: „Heute wollen wir einmal nicht traurig sein.“ Er dreht sich lächelnd zu seiner Frau um und fragt leise: „Darf ich bitten?“ Und beide tanzen versonnen zum Donauwalzer in ihrem Wohnzimmer um den großen Stubentisch herum. Wie in alten unbeschwerten Tagen, von denen sie glaubten, sie seien für immer vergangen, weil sie vor Jahren ihren kleinen Sohn verloren. Als der Walzer verklungen ist, sagt Frau Löhrius: „Vielleicht hat uns unser lieber Junge soeben zugesehen.“ –„Und sich mit uns gefreut.“

Im Kräuter- und Gemüsegarten indessen, den es damals am Krankenhaus noch gab, unterbricht zur gleichen Zeit Herr Aschoff das Herrichten eines Frühjahrsbeets und greift mit der Hand ins lockere Erdreich. Ich komme gerade aus der Schule. Er ruft mich freundlich zu sich und hält mir seine flache Hand mit der Gartenerde entgegen: „Darin ist soviel Leben, sichtbares und unsichtbares, mehr als es Menschen auf dieser Erde gibt.“ – „Ja“, sage ich, „darüber haben wir heute im Biologieunterricht gesprochen. Bei Herrn Henze.“ - „Alles Leben erwacht neu“, sagt Herr Aschoff, „dafür richte ich das Beet her.“

Zu Hause schlage ich die Zeitung auf. Auf der Lokalseite lese ich eine kleine Notiz zum Frühlingsanfang: Am ersten Frühlingstag schien die Sonne. Im Schloßpark haben sich die Schwanenpaare zum Brüten zurückgezogen, darunter auch Schwan Hans und seine treue Begleiterin. Ein Eichhörnchen suchte und fand eine Nuß aus seinem Wintervorrat und verzog sich rasch in einem Baumwipfel.

 

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