Untergehende Sonne an einem stillen Abend im
Kyffhäuserkreis, nach einem langen Frühlingstag, besinnliche Landschaft bei Bad
Frankenhausen - Foto: Tobias Schindler
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Vor langer Zeit an einem Frühlingstag in Sondershausen
In
der alten Schäferei treffen die Schwalben aus dem Süden ein, die Schwanenpaare
ziehen sich im Park zum Brüten zurück, Dirigent Wiesenhütter probt mit dem
Lohorchester Vivaldis Jahreszeiten
VON HUBERT APPENRODT
Auf einem kahlen Ast, der zu einem
Kastanienbaum im Schloßpark gehört, taut der letzte Schnee vom Winter, der nun
vergangen ist. Nur hier und da verblieb ein wenig Schnee. Dicke Tropfen fallen
im hellen Frühlingslicht auf den Wegesrand und versetzen für einen Augenblick
ein neugieriges Eichhörnchen in Erstaunen – an einem sonnigen Tag, als es die
Kleine Wipper noch gab und die Mühle am Parkeingang, nahe der kleinen und
großen Wipperbrücke.
In den Stallungen der alten Schäferei Dötzel am Schwarzen
Bären sind aus dem fernen Afrika die ersten Rauchschwalben eingetroffen, in
ihre alten Kugelnester, die sogleich ausgebessert werden, mit Speichel, Lehm-
und Erdklümpchen, versehen mit Heu- und Strohhalmen. Später werden aus dem Süden
Mehlschwalben folgen, die mit Vorliebe an den Außenwänden der Schafställe ihre
Nester anbringen. Zu den Vorboten des Frühlings zählen auch die
Schneeglöckchen. In einem viel bewunderten Garten nahe dem Jugendklubhaus
blühen tausend Schneeglöckchen, von Februar bis Ende März, in jedem Frühjahr
solange es den Garten gibt.
Als Frühlingsvorboten gelten die geselligen Stare und an den
städtischen Gewässern die zierlichen Bachstelzen. Mauersegler an den Türmen der
Stadt und Nachtigallen im Park werden erst Ende April erwartet. In den Wäldern
der Wind- und Hainleite erwachen Waldameisen aus ihrer Winterstarre, geweckt
von der Frühsonne, deren Strahlen ihre angelegten Wohn- und Lebenshügel
erwärmen. Die Ameisen durcheilen sogleich die Gänge nach oben ins Freie, um
sich von der Sonne wärmen zu lassen. Danach geben sie die Wärme in den Gängen
und Bruträumen an den großen Ameisenhügel ab.
Die Sonne erfreut Mensch und Natur. Und wer eben noch krank
war, schöpft am hellen Frühlingstag frischen Lebensmut und neue Zuversicht. Am
Erwachen der Natur im Park und in den Anlagen, in den Vorgärten und in den
Wäldern haben die kleinen und großen Stadtbürger gleichermaßen ihre Freude.
„Nun will der Lenz uns grüßen“ singen voller Glücksgefühl in einem Raum neben
der Aula der Käthe-Kollwitz-Schule Mädchen und Jungen einer dritten Klasse.
Frau Rosenstiel begleitet sie dazu auf dem Akkordeon. Die Schüler haben sich
zum Singen erhoben und können beim Gesang zum Fenster hin über die Dächer von
Sondershausen hinwegschauen, im Hintergrund sind die flach ansteigenden Felder
der Windleite zu sehen, die bald für die Frühjahrsaussaat beackert werden.
Am Haus der Kunst stellt zu dieser Zeit Herr Gertler aus dem
Schersental sein Fahrrad ab und eilt mit seiner Violine zur Orchesterprobe für
Vivaldis Jahreszeiten, dessen Frühlingssatz am Abend in einem Lohkonzert
erklingen soll. Dirigent Gerhart Wiesenhütter hebt den Taktstock und gibt das
Zeichen zum Einsatz, die Musiker beginnen gut vorbereitet mit virtuosem Spiel.
Die feinsinnige Musik aus dem Barock erwärmt auch ihre Herzen.
In der Hospitalstraße schaltet Schuldirektor Löhrius das
Radio an und sagt: „Heute wollen wir einmal nicht traurig sein.“ Er dreht sich lächelnd
zu seiner Frau um und fragt leise: „Darf ich bitten?“ Und beide tanzen versonnen
zum Donauwalzer in ihrem Wohnzimmer um den großen Stubentisch herum. Wie in
alten unbeschwerten Tagen, von denen sie glaubten, sie seien für immer
vergangen, weil sie vor Jahren ihren kleinen Sohn verloren. Als der Walzer
verklungen ist, sagt Frau Löhrius: „Vielleicht hat uns unser lieber Junge
soeben zugesehen.“ –„Und sich mit uns gefreut.“
Im Kräuter- und Gemüsegarten indessen, den es damals am
Krankenhaus noch gab, unterbricht zur gleichen Zeit Herr Aschoff das Herrichten
eines Frühjahrsbeets und greift mit der Hand ins lockere Erdreich. Ich komme
gerade aus der Schule. Er ruft mich freundlich zu sich und hält mir seine
flache Hand mit der Gartenerde entgegen: „Darin ist soviel Leben, sichtbares
und unsichtbares, mehr als es Menschen auf dieser Erde gibt.“ – „Ja“, sage ich,
„darüber haben wir heute im Biologieunterricht gesprochen. Bei Herrn Henze.“ -
„Alles Leben erwacht neu“, sagt Herr Aschoff, „dafür richte ich das Beet her.“
Zu Hause schlage ich die Zeitung auf. Auf der Lokalseite
lese ich eine kleine Notiz zum Frühlingsanfang: Am ersten Frühlingstag schien
die Sonne. Im Schloßpark haben sich die Schwanenpaare zum Brüten zurückgezogen,
darunter auch Schwan Hans und seine treue Begleiterin. Ein Eichhörnchen suchte
und fand eine Nuß aus seinem Wintervorrat und verzog sich rasch in einem
Baumwipfel.
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